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Kunst – ein wissenschaftliches Fach!

redaktionby in Bildungspolitik 6 Min. Lesezeit 6. März 2023

Rückblick und Perspektiven für eine Neubewertung des Faches Kunst

Der Beruf für Lehrerinnen und Lehrer muss attraktiver werden. Nach wie vor und immer spürbarer herrscht Mangel an Lehrkräften. Und die Unterrichtspflichtzeit der musischen Fächer ist immer noch nicht an die der sogenannten „wissenschaftlichen Fächer“ angeglichen worden. Das betrifft alle Schularten und Jahrgangsstufen.

BDK e.V.: Kampf für gerechte Unterrichtspflichtzeiten

Der Fachverband für Kunstpädagogik BDK e.V. in Bayern kämpft seit Jahren für eine gerechte Angleichung der Unterrichtspflichtzeit im Fach Kunst.

Unsere Klage beim Verwaltungsgerichtshof im Jahr 2010, die mit Unterstützung des BDK e.V. und BRLV finanziert wurde, ergab leider keine Einigung zwischen Kultusministerium und Klägerin. Im Kern ging es darum „die willkürliche Differenzierung zwischen wissenschaftlichen und sogenannten nicht – wissenschaftlichen Fächern aufzugeben.“ (Tatbestand Klage 2009, S. 2)

Die Klage bezog sich auf den Kunstunterricht der Realschule – und hier im Besonderen auf den Kunstzweig IIIb mit drei Schulaufgaben – davon zwei Theorie und eine praktisch – und der Abschlussprüfung (Theorie und Praxis).

Nicht nur in der Vorbereitung und Korrektur von sowohl theoretischen als auch praktischen großen und kleinen Leistungsnachweisen besteht ein enormer Arbeitsaufwand – auch die Vor- und Nachbereitung des regulären Unterrichts erfordern insbesondere bei künstlerisch-praktischen Unterrichtssequenzen viel Zeit. Materialien müssen für unterschiedliche Arbeitstechniken  beschafft werden, Maschinen und Werkzeuge fachgerecht betreut und gepflegt werden. Auch das kostet Zeit.

Die Abweisung der Klage 2010 wurde in erster Linie mit dem „weiten Gestaltungsspielraum“ des Dienstherrn und der „Zulässigkeit von Pauschalisierungen“ begründet (Klage 2010). In weiteren Erläuterungen wurde eingeräumt, dass finanzielle Gründe eine Rolle spielen könnten – hochgerechnet für das Klagejahr 2010 wurde die Zahl von 11 Millionen € als Mehrkosten bei Angleichung der Unterrichtspflichtzeit für das Fach Kunst im IIIb-Zweig an der Realschule  genannt, diese aber nicht zur Begründung  herangezogen.

Kunst und Erkenntnis – Die Wissenschaft ist nicht stehen geblieben …:

Zahlreiche Forschungen und Publikationen belegen eindrucksvoll, dass das Fach Kunst für die Bildung und Entwicklung eines jungen Menschen essentiell ist. Die Auseinandersetzung mit Bildern fördert nicht nur die Bildkompetenz, d.h. befähigt, Bilder aus verschiedenen Kontexten und mit unterschiedlichen Funktionen zu lesen, zu verstehen und zu gestalten (vgl. u.a. Wagner: „Bildkompetenz – Visual Literacy. Kunstpädagogische Theorie- und Lehrplanentwicklungen im deutschen und europäischen Diskurs – kulturelle Bildung online – 2018).

In bildnerischen Prozessen ereignen sich im Zusammenspiel von Wahrnehmen, Handeln und Denken Erkenntnisprozesse (vgl. Lutz-Sterzenbach / Kirschenmann  (Hg.): „Zeichnen als Erkenntnis“, München 2014, sowie Lutz-Sterzenbach, Barbara: Epistemische Zeichenszenen. Zeichnen als Erkenntnis in der Kunstpädagogik und interdisziplinären Bezugsfeldern. München 2015be)

Das Fach Kunst fördert zudem die Persönlichkeitsentfaltung und unterstützt in der Auseinandersetzung mit kunstimmanenter Ambivalenz und Vagheit Werte wie Toleranz und Diversität. Das sind wichtige Bausteine für ein friedvolles Zusammenleben und die Erziehung zur Demokratie (Vgl. u.a. Schnurr, Dengel, Hagenberg, Kelch (Hg.): „Mehrdeutigkeit gestalten. Ambiguität und die Bildung demokratischer Haltungen in der Kunst und Pädagogik“, Bielefeld, 2021).

Kunst und Wissenschaftlichkeit im LehrplanPLUS Kunst

Durch die Neuformulierung der Lehrpläne an bayerischen Schulen erfährt das Fach Kunst auch im praktischen Handlungsprozess eine fundierte wissenschaftliche Basis: Praktisches Arbeiten  fördert kognitive Prozesse. Basierend auf dem aktuellen LehrplanPLUS der Realschule und des Gymnasiums wird die Wissenschaftlichkeit des Faches Kunst deutlich (Siehe ISB Bayern – LehrplanPLUSRealschule und Gymnasium)

Fazit: Das Fach Kunst muss für alle Schularten und in allen Jahrgangsstufen als wissenschaftlich eingestuft werden.  Die Unterrichtspflichtzahl (UPZ) muss mit den anderen Fächern gleichgestellt werden. Der LehrplanPLUS weist auf zahlreiche Qualitätsmerkmale der Wissenschaftlichkeit  unmissverständlich hin.

Der BDK Bayern wird sich erneut für die Anerkennung des Faches Kunst als wissenschaftliches Fach einsetzen – auch mit der Option, eine neue Klage zu führen.

Text: Marcella Ide-Schweikart war lange stellvertretende Vorsitzende im BDK Bayern e.V., fungierte 2010 als Klägerin gegen den Freistaat Bayern und ist jetzt Referentin für Realschulen und Filmbildung im BDK Bayern e.V.

Text und Foto: Prof. Dr. Barbara Lutz-Sterzenbach, Landesvorsitzende BDK Bayern e.V.

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ANHANG: Unterstützung der Wissenschaftlichkeit und Bildungsrelevanz des Faches Kunst durch die Lehrpläne in Bayern

1 . Das Fach Kunst als Beitrag zur Bildung

  • „In einer zunehmend von Bildern dominierten Welt kommt dem Fach Kunst eine besondere Aufgabe zu. Bilder verstehen, mit Bildern kommunizieren und bildliche Darstellungsformen beherrschen ist elementarer Bestandteil von Bildung und ermöglicht die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Dies setzt eine differenzierte und geschulte Wahrnehmung und analysierende Interpretation voraus. Der Kunstunterricht will die Schülerinnen und Schüler dazu befähigen, Bildsprache zu verstehen und anzuwenden./…/.“ LehrplanPLUS  Realschule.
  • Fachspezifische Kompetenzen, wie etwa Imaginationskraft sowie ästhetische Erfahrungen sind weitere Stichpunkte  aus dem Kompetenzmodell des neuen Lehrplans. Eigene Lösungen finden (Selbstkompetenz), soziale Kompetenz entwickeln und Methodenkompetenz erlangen sind weitere Bausteine, die das Fach Kunst qualifizieren.
  • Die Kompetenzorientierung im Fach Kunst wird in folgende Bereiche spezifiziert: „Wahrnehmen“, „Imaginieren“, „Entwerfen“, „Gestalten“, „Werten“, „Analysieren und deuten“, „Durch Bilder kommunizieren“  (LehrplanPLUS Realschule und Gymnasium) – und „Die Bedeutung des Reflektierens“ (LehrplanPLUS Gymnasium).

Im Punkt „Gestalten“ wird u.a. die praktische Arbeit präzisiert:

„/…/ Den Schwerpunkt des Kunstunterrichts in der Realschule bildet die praktische Tätigkeit. Im eigenen Gestalten durch vielfältige künstlerische Techniken und Ausdrucksformen wird das persönliche Ausdrucksvermögen ganzheitlich gefördert. /…/“

Die Gestaltungspraxis wird durch ein breit angelegtes Wissen über die Gestaltungselemente /…/ und die Gestaltungsprinzipien /…/ ergänzt.
Die hier erworbene Fachkompetenz erm
öglicht es, die sichtbare Welt ebenso wie Empfindungen und innere Bilder ineigenständigen Lösungen bildnerisch umzusetzen.

Die Schülerinnen und Schüler werden befähigt, die in den bildnerischen Prozessen erworbenen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten in andere Bereiche zu übertragen und sie für eine aktive, verantwortliche Teilhabe an der bildgeprägten Welt zu nutzen.
(LehrplanPLUS Realschule)

Der Kunstunterricht im Gymnasium präzisiert hier die verschiedenen Techniken, die jeweils planvoll eingesetzt werden:

„/…/ Analoge und digitale Verfahren ergänzen und durchdringen sich, materielle und virtuelle Gestaltungsfelder berühren und überschneiden sich. Auch Film und Trickfilm sowie das szenische Spiel sind integraler Bestandteil des Kunstunterrichts.“ (LehrplanPLUS Gymnasium)

Neben dem praktischen Teil zählt auch der Theorie -Teil des Faches Kunst zur elementaren Lehre: Dazu gehört die bildnerische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und Fantasie ebenso wie die Vermittlung der Kunstgeschichte – von den Anfängen bis hin zur Gegenwartskunst mit dem Schwerpunkt Malerei und Grafik. „/…/ Die mit den Jahrgangsstufen zunehmend komplexe und systematische Bildanalyse baut eine umfassende Bildkompetenz auf (LehrplanPLUS Realschule). Inhaltlich wird dieser Themenkatalog mit „Architektur und Produktdesign sowie Kommunikation und Interaktion im Gymnasium ergänzt /…/.“ (LehrplanPLUS Gymnasium).

Zu den im LehrplanPLUS formulierten Kompetenzen zählen weitere, essentielle Bildungsziele. Unter anderem stehen für Bildungsinhalte folgende Themen im Fokus:
– Bildung für Nachhaltige Entwicklung (Umweltbildung, Globales Lernen)
– Interkulturelle Bildung
– Kulturelle Bildung
– Medienbildung / Digitales Lernen
Dies sind Themen, die für ein friedvolles globales Zusammenleben Voraussetzung sind!

Ein Teil des Kompetenzmodells wird  auch in den Lehrplänen für die Grund- und Mittelschule verwendet, siehe dazu ISB – LehrplanPLUS Bayern Grundschule und Mittelschule.
(Textauszüge der Lehrpläne und Hervorhebung einzelner Passagen durch die Autorin Ide-Schweikart)

Literaturnachweise:

Lehrpläne ISB Bayern:
Realschule: https://www.lehrplanplus.bayern.de/schulart/realschule/fach/kunst
Gymnasium: https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachprofil/gymnasium/kunst
Grundschule: https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachprofil/grundschule/kunst
Mittelschule: https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/mittelschule/5/kunst

Lutz-Sterzenbach / Kirschenmann  (Hg.): „Zeichnen als Erkenntnis“. Beiträge aus Kunst, Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik“, München 2014, S. 331 ff.

Lutz-Sterzenbach, Barbara: Epistemische Zeichenszenen. Zeichnen als Erkenntnis in der Kunstpädagogik und interdisziplinären Bezugsfeldern. München 2015be, S. 79 ff.

Schnurr, Dengel, Hagenberg, Kelch (Hg.): „Mehrdeutigkeit gestalten. Ambiguität und die Bildung demokratischer Haltungen in der Kunst und Pädagogik“, Bielefeld, 2021 Wagner, Ernst: „Bildkompetenz – Visual Literacy. Kunstpädagogische Theorie- und Lehrplanentwicklungen im deutschen und europäischen Diskurs – kulturelle Bildung online“ – 2018
https://www.kubi-online.de/artikel/bildkompetenz-visual-literacy-kunstpaedagogische-theorie-lehrplanentwicklungen-deutschen

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