Sind Künstler die „richtigen“ Kunstlehrer oder nicht?
Der Einsatz von freien Künstlern für Kunstprogramme in Schulen wird in manchen Bundesländern forciert – in verschiedenen Formen und aus verschiedenen Gründen. Zum Teil verbergen sich dahinter echte zusätzliche kunstpädagogische Förderabsichten, auch Ansätze zu sinnvollen Nachmittagsprogrammen im Rahmen der Ganztagsschulen. Zum Teil aber handelt es sich um bloße Ersatzprogramme, die – mithilfe von schlecht bezahlten temporären Arbeitskräften – eine Abdrängung des regulären Kunst-unterrichts in die Randzone erlebnispädagogischer außerschulischer Beschäftigungsprogramme bewirkten.
Insofern müssen diese Programme vom Standpunkt einer professionellen und disziplinär begründeten Kunspädagogik zwiespältig beurteilt werden: Sind solche Programme als eine preisgünstige, aber nicht vollwertige „Kunstpädagogik light“ zu bewerten oder kommt jetzt „endlich“ die „echte“ Kunst in die Schule?
In K+U 298/2005, 5.44/45 veröffentlichten wir eine kontroverse und viel beachtete Diskussion zu diesem Thema. Der Beitrag von Rudolf Preuss berichtet nun von einer empirischen Untersuchung, die den genauen Wirkungen und Konsequenzen der pädagogischen Aktionen von „Künstlern in der Schule“ nachgeht und damit Grundlagen einer näheren Beurteilung liefert. Genau wird hier sichtbar, wo die Grenzlinien zwischen künstlerischer und kunstpädagogischer Professionalität liegen, wo die Chancen, aber wo auch die Grenzen solcher Programme liegen. Nähere Informationen finden sich unter: www.westfalenstory.de.
Künstler und Schule
Nötige Differenzierungen zu einem schwierigen Thema
Rudolf Preuss
( Aus: K+U Heft 317 / 2007, S. 48/49 )
Nachdem mehrere Landesregierungen Kooperationsprogramme initiiert haben, wurde eine ganze Reihe von Künstlern in verschiedenen Feldern schulischer Organisation eingesetzt.
Am 25.2.07 sendete 3SAT eine interessante Dokumentation der Arbeit des Künstlers Bernhard Büttner. Es wurde ein Projekt geschildert, in dem Büttner mit Schülern einen Flur in einer Düsseldorfer Schule gestaltet. In der Dokumentation von 3SAT wird der „alltägliche Kunstunterricht“ in der Schule folgendermaßen klassifiziert:
„Kurz den Expressionismus erklären und dann kollektiv ein entsprechendes Bild malen zu lassen, davon hält der studierte Künstler nichts. Ihm ist es wichtig, dass die Kinder Spaß am Lernen haben, sich individuell entfalten können und einen Zugang zur Kunst bekommen“. (Sendungsmanuskript 25.2.07, www.3sat.de)
Abgesehen von dieser Verballhornung des alltäglichen Kunstunterrichts verschenkt eine derartige Gegenüberstellung von Kunstunterricht durch Kunstlehrer und Kunstunterricht durch Künstler alle Chancen.
2006 wurde von der Landesarbeitsgemeinschaft Arbeit, Bildung und Kultur in Zusammenarbeit mit der Universität Dortmund, Institut für Kunst und Materielle Kultur ein Projekt initiiert, bei dem sechs Schulen, acht Lehrer, rund 200 Jugendliche, elf Künstler und 17 Lehramtstudierende beteiligt waren.
Das Projekt, betitelt „Westfalenstory“, setzte sich mit Immigration auseinander und war gleichzeitig der Versuch, in einem pädagogischen Experiment intermediale Prozesse und Kooperationsabläufe zu untersuchen.
Die Jugendlichen wurden einer Eingangs- und einer Auswertungsbefragung unterzogen. Hinzu kamen begleitende Beobachtungen und eine Ergebnisbeurteilung. Es handelte sich um eine qualitative Untersuchung.
Herausgegriffen wird hier der Aspekt „Rolle und Funktion der Künstler“ aus Sicht der Schüler, der interessante Einblicke in die Wahrnehmung von Unterrichtsprozessen ermöglicht.
Rolle der Künstlerin/des Künstlers im Unterricht
52% der Jugendlichen gaben an, sie hätten nicht so intensiv und erfolgreich arbeiten können, wäre nicht die Unterstützung durch den Künstler vorhanden gewesen. 34% gar hätten ihrem Kunstlehrer das Projekt überhaupt nicht ohne einen Künstler zugetraut.
Stimmt es also, dass die Schule unbedingt Künstler braucht, uni innovative Prozesse im Kunstunterricht zu initiieren? Die obige Antwort legt es nahe – zumindest auf den ersten Blick.
Stutzig machten uns jedoch die Ergebnisse zu der Frage, wer während des Projektes der wichtigste Ansprechpartner für die Jugendlichen gewesen ist.
60% bezeichneten den Kunstlehrer als die wichtigste Person, 24% einen Künstler und 15% einen Praktikanten. Leicht könnte man bei dieser Antwort Opportunismus vermuten, da ja der Lehrer die Noten vergibt. Bei den genannten Gründen fällt auf, dass die Notengebung erst an zweiter Stelle mit 27% genannt wird. Viel wichtiger sind Aspekte wie „weil ich zu dieser Person den besten Draht hatte“ oder „weil mir seine Art am besten weiterhalf“. Es sind also eindeutig qualitative Elemente, die die Schüler in der Person finden.
Wie also kommen 34% der Befragten zu der Einschätzung, dass ohne einen Künstler das Projekt nicht zu Stande gekommen wäre?
Für die übergroße Mehrheit der Schüler war das Projekt der erste Kontakt zu einem Künstler. Wir vermuten aufgrund von Beobachtungen eine Verknüpfung zwischen der Einschätzung der Künstlerpersönlichkeit und der ungewohnten freien Arbeitsweise, die im Projekt stattgefunden hat. Der Künstler wird also mit Arbeitsweisen identifiziert, die sich vom alltäglichen Kunstunterricht unterscheiden. Keinesfalls darf man aus diesen Antworten eine Disqualifizierung der unterrichtlichen Tätigkeit der Kunstlehrer ableiten. Eingangs wurden nämlich die Schüler über ihre Zufriedenheit mit dem Kunstunterricht befragt und es stellte sich heraus, dass über 80% aller beteiligten Jugendlichen den Kunstunterricht positiv bewerten. Darüber hinaus war das Projekt personell durch die Beteiligung der Lehramtsstudenten sehr gut ausgestattet.
Auf die Frage, inwieweit es einen Unterschied mache, dass neben dem Kunstlehrer noch weitere Personen anwesend waren, fühlten sich 29% durch die Personen höher motiviert, 23% waren der Ansicht, ohne diese intensive Betreuung hätten sie ihre Ideen nicht entwickeln können. Hier wird der Zusammenhang zwischen inhaltlicher Arbeit, Motivation und Betreuungsintensität hergestellt. Die Ausgangsfrage nach der Rolle der Künstler relativiert sich also: Diese werden als zusätzliche Arbeitskraft und inhaltlicher Bezugspunkt gesehen. Es ist also nicht so einfach, wie in 3SAT dargestellt: Der Künstler kommt, der Kunstunterricht macht plötzlich Spaß und die Kinder sind motiviert.
Künstlerbild und Lehrerbild
Man sollte die Rolle der Künstler im Unterricht nicht mystifizieren. Zunächst werden sie als Menschen – unabhängig von ihrer Funktion und ihren künstlerischen Qualitäten – wahrgenommen, und müssen sich als solche beweisen. Der Unterschied zwischen Kunstlehrern und Künstlern liegt nicht in ihrer grundsätzlichen Qualifikation, da beide in ihrer Ausbildung künstlerische Prozesse durchlaufen (Kunstlehrer über 50% der Ausbildung). Die Intensität der Prozesse ist hochgradig individuell. Künstlerische Prozesse von Künstlern sind aber nicht unbedingt intensiver als die der Lehrerkollegen. Der Unterschied liegt im Grad der Einbindung in das System Schule, der Intensität der Auseinandersetzung mit Vermittlungsprozessen und der Rollenzuschreibung durch die Schüler. Wir haben es also mit zwei Faktoren zu tun: einerseits ausgeprägte Kenntnisse von Vermittlungsprozessen bei den Kunstlehrern und auf der anderen Seite meist intensiver gelebte Kenntnisse in künstlerischen Prozessen bei den Künstlern. Die eigentliche Stärke liegt hier ganz eindeutig in der Kooperation. Für über 70% der beteiligten Jugendlichen hat sich durch das Projekt ihr Künstlerbild nicht geändert.
Zwar war das Ausgangsbild nicht negativ belegt, aber sehr diffus. Das Ergebnis mag erstaunen und öffnet das Tor für viele Spekulationen.
Ich denke nach vielen Gesprächen mit den Schülern, es ist das System Schule, welches für die Jugendlichen den Menschen hinter der Lehrperson verschwimmen lässt.
Lehrer sind eben Lehrer. Der Künstler ist zunächst auch Lehrperson.
Synergien
Die Kooperation zwischen Lehrern und Künstlern ist unbedingt positiv zu bewerten. Auf gar keinen Fall ist der Sache damit gedient, dem Kunstlehrer den alltäglichen Kunstunterricht zuzuschustern und den Künstlern die Projekte. Gerade in der Kooperation und den Synergien liegen die Chancen für die Jugendlichen, Differenzerfahrung für ihre individuelle Persönlichkeitsentwicklung zu gewinnen. Ein erfolgreicher Einsatz von Künstlern in den Schulen beinhaltet deswegen zwangsläufig bestimmte Forderungen nach Kooperation, nach Unterrichtsorganisation und nach inhaltlicher Vorbereitung der Künstler auf eine Vermittlungssituation.